Anne Will über den Preis:

Porträt: Anne Will
Anne Will. [Bild: ARD/Marco Grob]

"Ich freue mich sehr über diesen Preis. Er bedeutet mir viel. Vor allem, weil dieser Preis für eine Haltung verliehen wird. Das macht ihn so wertvoll! Es gibt eben nicht so viele Preise, die einem journalistischen Lehrsatz verpflichtet sind, zweifellos Hanns-Joachim Friedrichs meistzitiertem Satz: „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache.
Darüber habe ich oft nachgedacht und mit Blick auf die Verleihung heute noch einmal mehr. Ich wusste ja auch, dass mein Engagement für Afrika Thema sein sollte. Also fühle ich mich herausgefordert, Hanns-Joachim Friedrichs Satz zu interpretieren.

Ich bin ihm – anders als viele von Ihnen – persönlich leider nie begegnet. Ich kann also nur mutmaßen, bin aber davon überzeugt, dass er mit „sich gemein“ machen meint: Positionen ungefragt und unkritisch zu übernehmen, sie sich zu eigen zu machen, gar manipulativ zu vertreten. Das darf ein guter Journalist nicht.

Was er aus meiner Sicht darf ist, sich einzusetzen, zum Beispiel auch für eine gute Sache. Denn darin zeigt sich Haltung! Ich setze mich ein für die Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen in Afrika, ich bin für das Verbot aller Minen und minenähnlicher Waffen. Und ich bin davon überzeugt, dass für die Erreichung dieser und ähnlicher Ziele bürgerschaftliches Engagement notwendig ist und dass dazu auch Journalisten ihre Mittel nutzen müssen.

Ein solches Mittel mag die Gesichtsbekanntheit einer Moderatorin sein, es muss zuallererst aber über Nachrichtenauswahl und Themensetzung gelingen. Die Tagesthemen haben zum Beispiel früher als alle anderen über den Völkermord, den ich geplant einen Völkermord nenne, in der sudanesischen Provinz Darfur berichtet und tun es nach wie vor in großer Regelmäßigkeit. Das ist Haltung, das ist sich einzusetzen und das ist nicht, sich gemein zu machen!

Es gab vor kurzem in der Wochenzeitung DIE ZEIT einen Artikel, der mich schon durch die Überschrift hat aufmerksam werden lassen: „Die Anne Will in uns“ hieß er. Er vertrat die These: Moderatoren regierten nicht nur im Fernsehen, ihr Stil dominierte das ganze Land. Und zwar „leider“, so beklagt es der Autor. Denn was den Moderator ausmache, sei seine „beharrliche Unwilligkeit, eine Position für länger einzunehmen als die Dauer einer Frage“. Was er anprangert und was er unterstellt ist also: vollkommene Haltungslosigkeit. Was er übersieht ist, dass Moderatoren Journalisten sind. Dass sie also der Unabhängigkeit und der Überparteilichkeit verpflichtet sind.

Damit könnte man den Artikel jetzt getrost in die Altpapiertonne treten. Dann hätte ich ihn aber gar nicht erwähnt. Ich habe mich zwar nicht bis ins letzte angesprochen gefühlt. Ich wusste zu dem Zeitpunkt ja auch schon, dass ich den Friedrichs-Preis für die richtige, für die unabhängige und kritische Haltung verliehen bekommen würde. Aber ich habe mich zum Nachdenken angeregt gefühlt. Was mich daran interessiert, ist folgendes:

Als Hanns-Joachim Friedrichs vom „nicht gemein machen“ sprach, tat er das zu einer anderen Zeit. Damit in einem ganz anderen politischen Kontext. Einem, der geprägt war von einem weltanschaulichen Konflikt zwischen den großen Systemen, von einem ideologieverhafteten Diskurs, der selbstverständlich auch in den Redaktionen ausgetragen wurde. Mit der Konsequenz: Zeitungen, politische Magazine, Kommentatoren waren politisch, auch parteipolitisch glasklar zuzuordnen. Hanns-Joachim Friedrichs muss es also um Mäßigung gegangen sein als er den guten Journalisten beschrieb.

Das braucht es heute nicht mehr. Wenn sich alle Welt in Globalisierungsnotwendigkeiten einrichtet, wenn sich die großen Parteien pragmatisch und programmatisch in der politischen Mitte tummeln und es da verdammt eng wird, dann lädt das eben nicht mehr zu grundsätzlichen Diskussionen ein. Dann korrespondiert die Wendigkeit von Politik sehr schnell mit einer ebensolchen in den Redaktionen.

Deshalb: Hanns-Joachim Friedrichs hat ein ZU VIEL an Meinungsfreudigkeit bei Journalisten beobachtet und sie gemahnt, sich zu mäßigen. Ich unterstelle dagegen ein ZU WENIG an Meinungsfreudigkeit und an kritischer Haltung! Ich will nicht nur informiert werden, ich will Einordnungen haben, ich will kritische Haltungen spüren, die – ja! - über die Dauer einer Frage deutlich hinausreichen und eben auch die zweite und dritte kritische Nachfrage tragen und so ganze Sendungen bestimmen.

Ich habe in meiner neuen Sendung mehr Möglichkeiten und größere Freiheiten. Deshalb nehme ich diesen Preis als ausdrückliche Aufforderung - sie zu nutzen!"

Gehalten in Köln am 16. Oktober 2007