Porträt Fritz Pleitgen
Fritz Pleitgen
Foto: Klaus Görgen / WDR

Rede von Fritz Pleitgen, Gründungsmitglied des Vereins zur Verleihung des Hanns-Joachim-Friedrichs-Preises für Fernsehjournalismus e.V., anlässlich des 20. Jubiläums des Vereins auf der Preisverleihung im WDR Studio in Köln am 28. Oktober 2015:

"Liebe Kolleginnen und Kollegen,
verehrtes Fernseh-Publikum,

dies ist also die 20. Verleihung des Hanns Joachim Friedrichs-Preises. Ich sage das etwas staunend. Wir Gründungseltern sind selbst überrascht, dass wir so weit gekommen sind. Daraus schöpfen wir die Zuversicht, dass sich der Preis noch eine gute Weile behaupten wird.

Hanns Joachim Friedrichs genoss als Tagesthemen-Moderator höchste Wertschätzung beim Publikum – im geteilten wie später im vereinten Deutschland. Wir Korrespondenten arbeiteten gerne mit ihm zusammen. Bei ihm wussten wir unsere Beiträge bestens aufgehoben. Seine Persönlichkeit wurde nicht nur durch sein journalistisches Können geprägt, sondern in gleicher Weise durch seine Haltung. Die hatte ihm sein Vater mitgegeben, der lieber seinen Posten aufgab als den Forderungen der Nazis Folge zu leisten.

Es war diese Charakterfestigkeit, die Hanns Joachim Friedrichs zusammen mit seiner erstklassigen Ausbildung bei der BBC zu einem herausragenden Journalisten machte, ob als Kommentator historischer Ereignisse, als Moderator im Sportstudio oder als Reporter an den Brennpunkten dieser Welt. Hanns Joachim Friedrichs war ein Star, bar jeder Allüre. Sein Abschied von dieser Welt hatte großes Format, wie sein Leben.

Wenige Tage vor seinem Tod formulierte er im SPIEGEL-Gespräch mit Jürgen Leinemann und Cordt Schnibben sein journalistisches Vermächtnis. Er war an das Ende seiner Kräfte angelangt, aber er hielt durch. Fünf Stunden.

„Kaum hörbar waren manche Sätze. Minutenlange Pausen dehnten sich zwischen einzelnen Wörtern. Aber dann, ausgeschrieben, formten sie sich ganz ohne Hilfestellung zu druckreifen Passagen – mit Pointen und ironischem Unterton. Zusammengezwungen durch eine unglaubliche sprachliche Disziplin und Willensanstrengung,“ so schilderte Jürgen Leinemann das Gespräch.

Hanns Joachim Friedrichs blieb sich bis in die letzten Stunden seines Lebens treu. Er klagte nicht über den bevorstehenden Tod, hielt Abstand bei der Betrachtung seines Lebens, urteilte freundlich über gute Leistungen von Kollegen, zeigte sich aber unversöhnlich, wenn es um missbrauchten Journalismus ging, sei es im Interesse von Parteien oder der eigenen Karriere wegen.

Um seine Vorstellung von Journalismus zu beschreiben, brauchte er nur wenige Worte: „Distanz halten! Sich nicht gemein machen mit einer Sache! Auch nicht mit einer guten!“ Hanns Joachim Friedrichs brachte cool auf den Punkt, was zum Leitmotiv für den Preis seines Namens wurde: der Respekt vor der Urteilsfähigkeit der Bürgerinnen und Bürger. Sie sollten bestmöglich ins Bild gesetzt werden, um sich souverän ihre eigene Meinung bilden zu können. Keine Bevormundung durch parteiliche Berichterstattung! Dies galt für ihn besonders, wenn es um emotionsgeladene Konflikte und Ereignisse ging.

Dass Hanns Joachim Friedrichs an dem Tag starb, als der SPIEGEL-Titel mit seinem Gespräch erschien, hatte Romanhaftes, etwas von Hemingways „Wem die Stunde schlägt“. Sein Leben begann zu verlöschen, als eine allerletzte Chance kam, noch einmal für seine Sache einzutreten. Er nutzte sie.

Keine Journalistin, kein Journalist, der oder die auf sich hält, kommt so leicht an seinen letzten Worten vorbei. Wir profitieren auch davon. Viele Preisträgerinnen und Preisträger sagen, eine Auszeichnung, die mit dem Namen Hanns Joachim Friedrichs verbunden ist, sei für sie besonders ehrenvoll. Wir glauben das auch.

Abstand halten - das Credo von Hanns Joachim Friedrichs ist kein unduldsames Dogma. Im Gegenteil, es lädt zum Nachdenken, zur Diskussion ein - bei der Ausbildung von jungen Journalisten, in Redaktionskonferenzen und bei der Verleihung des Hanns Joachim Friedrichspreises, wie heute.

Widerspruch ist erwünscht, passiert auch, von Anfang an. Bei Missbrauch von Kindern oder Vergewaltigung von Frauen werde sie als Berichterstatterin zur Partei, erklärte eine Preisträgerin. Hanns Joachim Friedrichs hätte es ertragen. Er fand es allerdings unjournalistisch, öffentliche Betroffenheit zur Schau zu tragen. Nein, ein Dogma ist sein Prinzip nicht, sondern ein weiser Ratgeber. Und auch ein guter Schutz oder Selbstschutz gegen üble Kampagnen, denen Journalistinnen und Journalisten im Netz und bei Demonstrationen unter dem Schlagwort „Lügenpresse“ zunehmend ausgesetzt sind.

Seit 1995 sind mit dem heutigen Tag 43 Hanns Joachim Friedrichs-Preise verliehen worden. Da ein Kollege zweimal bedacht wurde - zunächst mit dem Förderpreis, dann mit dem Hauptpreis -, kommen wir auf 42 Preisträger. 17 Frauen, 25 Männer. Aus männlicher Sicht schon ordentlich paritätisch! Allerdings, wenn wir die Ideallinie erreichen wollen, müssen wir noch ein bisschen weiterbestehen, was wir auch vorhaben.

Im Sinne von Hanns Joachim Friedrichs halten wir von der Politik Abstand. Willkommen ist sie uns hingegen, wenn wir bei Verleihungen prominentes Personal für Festreden benötigen. So boten wir Heiner Geisler, Joschka Fischer, Gerhard Schröder, Angela Merkel, Ursula von der Leyen und Richard von Weizsäcker die Möglichkeit, die Rolle des kritischen Journalismus ordentlich herauszustreichen. Sie taten es, konnten sich aber nicht verkneifen, uns von den Medien auch die Leviten zu lesen. Im Wesentlichen zu Recht, müssen wir zugeben.

Günter Grass hätte es aus anderem Blickwinkel ebenfalls getan. Leider konnten wir ihn trotz guter Verbindungen nicht gewinnen. Dafür gaben uns Wolf Biermann, Dieter Hildebrandt und Harald Schmidt die Ehre. Die rundfunkpolitisch eindrucksvollste Rede hielt ein Kollege von der Printpresse: Frank Schirrmacher.

Wie wird die Trägerin, der Träger des Hanns Joachim Friedrichs-Preis gewählt? Mit Leidenschaft! Wenn keine Einigung möglich ist, gibt es das Mittel der großen Lösung. So wurden in einem Jahr gleich drei Moderatorinnen - herausragende Journalistinnen allesamt - mit dem Friedrichspreis bedacht. Pro Person natürlich. Die Kolleginnen nahmen es mit Würde und Humor. Was uns ermutigte, im Jahr darauf in gleicher Weise zu verfahren. Diesmal erwischte es drei Kollegen im gesegneten Pensionsalter. Auch diese Verleihung haben wir als gelungen in Erinnerung.

20 Jahre Hanns Joachim Friedrichs-Preis bedeuten auch 20 Jahre Programm-Beobachtung. Ist der Fernsehjournalismus im Laufe dieser zwei Jahrzehnte schlechter oder besser geworden? Anders ist er geworden, schon allein auf Grund der Technik. Schneller, gehetzter! Getrieben durch die echtzeitnahe Geschwindigkeit des Internets. Ob das Irrsinnstempo der Aufklärung dient, ist schwer zu glauben. Mir als altem Knaben mag die Entwicklung missfallen, aber ändern wird mein Unbehagen die Verhältnisse nicht.

Umso mehr kommt es auf die Redaktionen an. Sie müssen den Überblick behalten, ohne sich abhängen zu lassen; sie müssen den Kolleginnen und Kollegen draußen Zeit verschaffen für eigene Recherche und eigene Bildbeschaffung. Wettbewerb sollte eigentlich unterschiedliche Betrachtungen erzeugen. Der Eindruck ist nicht selten ein anderer. Die Berichterstattung, so scheint es, läuft häufig nur in eine Richtung. Ehe das Bild differenzierter wird, hat sich die Meinung des Publikums längst gebildet.

Wenn es um viel und Kompliziertes geht, dann helfen keine Schnellschüsse, dann müssen in die Tiefe gehende Dokumentationen zu guten Sendezeiten her. Rechtzeitig! Daran hat es gefehlt bei den großen Themen unserer Zeit: Griechenland, Ukraine, NSU, Syrien, Flüchtlinge. Dadurch ist wichtige Aufklärung versäumt worden. Gute Autorinnen und Autoren gibt es reichlich. Das ist die ermutigende Erkenntnis nach 20 Jahren Hanns Joachim Friedrichs-Preis. Wir hatten jedenfalls keinen Mangel, wenn Ausschau gehalten wurde nach geeigneten Kandidatinnen und Kandidaten, die eine Auszeichnung verdienten.

„Fernsehen kann lehren, es kann erleuchten, es kann inspirieren. Wenn wir es nicht zu diesem Zweck nutzen, dann ist es nur ein Kasten mit Drähten und Lichtern.“ Was Ed Murrow, der Größte unter den kritischen Fernsehjournalisten bereits 1958 gesagt hat, gilt auch heute noch; auch wenn es nicht mehr Drähte und Lichter sind, sondern LED-Panels und integrierte Schaltkreise. Es kommt aufs Gleiche hinaus.

Zum Schluss noch ein Wort über uns:

Der Verein „Hanns Joachim Friedrichs-Preis“ wird allein von seinen Freunden getragen. Wir hören es nicht gerne, aber leider sind auch wir nicht unsterblich. Wertvolle Mitglieder sind schon von uns gegangen: Jurek Becker, Gerhard Krug, Jürgen Leinemann, Dirk Sager und Harry Valérien.

Um unseren Verein vor Vergreisung und dem Aussterben zu schützen, mussten wir uns etwas einfallen lassen. Dies ist dem engsten Freundeskreis gelungen; mithilfe eines simplen, aber schlauen Schachzugs. Der Verein wurde für die Preisträgerinnen und Preisträger geöffnet. So bleibt der Gründergeist lebendig und frische Ideen halten Einzug – im Prinzip bis in alle Ewigkeit.

Wir würden uns freuen, lieber Herr Buhrow, lieber Herr Marmor, wenn WDR und NDR ebenfalls so lange durchhielten, auf dass sie wie bisher unsere Preisverleihungen unter die Menschen bringen; zum Vorteil beider Sender. Kritischer Fernsehjournalismus gehört schließlich zum Kernauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Wird er erfüllt, zahlen die Bürgerinnen und Bürger ihren Rundfunkbeitrag gerne. In diesem Sinne Glück auf!"