DIE ZEIT
DIE ZEIT - Hamburg, 01.10.1998
Unser Mann in Afrika
Die unbewaffnete Stimme - am 20. Oktober erhält ARD-Korrespondent Hans-Josef Dreckmann den Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis
Von Fritz Wolf
Aus der Ruhe bringen läßt sich Hans-Josef Dreckmann kaum. Als ihn auf Nairobis Hauptverkehrsstraße ein Wagen fast rammt, sagt er: "Aber hallo, Bursche!" Das ist schon fast eine Aufregung. Zehn Jahre Schwarzafrika haben ihn gelassen werden lassen, mehr noch: "Ich glaube, ich bin nicht mehr eitel." Es ist nicht zu übersehen, daß dem Journalisten Dreckmann nicht wohl dabei ist, von Journalisten befragt zu werden. Er fragt lieber selbst.
Für die ARD ist er "unser Mann in Nairobi", Afrika-Korrespondent seit mehr als einem Jahrzehnt, ein Gesicht auf dem Bildschirm. Seine Stimme klingt nicht so bewaffnet wie die von Friedhelm Brebeck, und seine Reportagen kommen nicht so verschmitzt elegant daher wie die von Gerd Ruge. Doch wann immer etwas los ist in Schwarzafrika, ist er da und bringt Ruhe und Übersicht ein. Selbst in die Katastrophen. Marktschreierische Töne hat man von ihm noch nicht gehört.
Den Krieg in Somalia, die Hungersnot in Äthiopien, die Massaker in Ruanda - Dreckmann hat alles gesehen. Das ist das Paradox, in dem er lebt und arbeitet. Er sieht sich nicht als Kriegsberichterstatter und muß doch immer wieder einer sein. Afrika bringt Bilder und Geschichten von Hunger, Krieg und Aids in die internationalen Nachrichtenströme. Der Trend hat sich verstärkt, seit die internationalen Bildagenturen Afrika als Nachrichtenmarkt entdeckt haben. Auch Dreckmann muß so etwas liefern, das ist schließlich sein Job. Aber er setzt Grenzen. Niemals würde er sich als Arzt verkleiden, um einen Platz im Flugzeug zu ergattern, niemals sich in einer kugelsicheren Weste vor die Kamera stellen. "Ich bin doch keiner, der sich im Krieg selbstverwirklichen will." Am 20. Oktober bekommt er in Köln den Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis. Die Auszeichnung hätte er nicht angenommen, wenn sie allein dem Kriegsreporter gegolten hätte.
Ihn ärgert das falsche Bild, das sich die Welt vom Schwarzen Kontinent macht, wenn sie nur seine Krisen zur Kenntnis nimmt, nicht seinen Alltag. Die dreiwöchige Tansania-Tour, über die er im August in der ARD berichtete, lag ihm sehr am Herzen. Doch dieser Versuch abseits des bloßen Krisenjournalismus gelang nur halb. Die Bombenattentate auf die US-Botschaften in Nairobi und Daressalam erzwangen eine Unterbrechung. Die Gewalt obsiegte.
Dreckmann sagt: "Mich interessieren immer nur Menschen." Er hat ein gutes Gespür für andere. Als Europäer lebt er in Nairobi in privilegierter Stellung. ARD-Studio wie Privathaus liegen in einem der besten Viertel der Stadt, verborgen hinter Hecken und Zäunen, Tag und Nacht von Wächtern geschützt. Doch er weicht der Armut nicht aus. Wir fahren in den Stadtteil Kangemi, einen der etwas besseren Slums, bunt, wirr, laut, dreckig, die Straßen eine Versammlung riesiger Schlaglöcher. Mit Fahrgästen vollgestopfte Sammeltaxis kreuzen und queren die Fahrspuren nach Belieben. "Hier fahre ich gern her", sagt Dreckmann vergnügt, "hier ist Leben prall." Und schaukelt den Geländewagen zielsicher in eine Seitenstraße.
Hinter einem buntbemalten Stahltor lebt hier Anne Wanjugu mit 150 Kindern. Anne Wanjugu war in Kenia eine populäre Theater- und Filmschauspielerin. Nachdem sie einen Film über Straßenkinder gedreht hatte, gab sie ihren Beruf auf, mietete drei Häuser und begann, Kinder von der Straße zu holen. Nun spielt sie mit ihnen Theater, als Therapie. Die Kinder sollen ihre Würde wiederfinden, sollen lernen, daß sie kein Nichts sind.
Sie bekommen Schulunterricht, Essen, einen Schlafplatz und, wenn möglich, die Vorbereitung auf einen Beruf. Das Projekt erhält keine Unterstützung aus öffentlichen Mitteln, also treiben Hans-Josef Dreckmann, seine Familie und andere Helfer die Miete auf. Menschen wie Anne Wanjugu nötigen ihm größten Respekt ab.
Dies hat wohl auch mit Dreckmanns Herkunft zu tun. Er ist im Ruhrgebiet geboren und noch heute stolz darauf, daß er auch Hilfsschweißer bei Thyssen gelernt hat. Damit finanzierte er sein Studium in Germanistik und Latein, promovierte über einen mittelalterlichen Troja-Roman und fiel dann bei den Ruhr-Nachrichten in den Journalismus.
Zu Beginn der siebziger Jahre wechselte er zum WDR und ging 1974 als Auslandskorrespondent nach Brüssel. 1980 übernahm er die Leitung des Studios Nairobi, ein Anfänger in Sachen Afrika. In Tansania propagierte gerade Staatschef Julius Nyerere, der Shakespeare in Kisuaheli übersetzt hat, den Sozialismus mit afrikanischem Antlitz, und Hans-Josef Dreckmann träumte diesen Traum mit. War aber wohl damals schon pragmatisch genug, sich von der Wirklichkeit belehren zu lassen.
Als Europäer könne man Afrika nur lieben oder hassen, sagt er, nichts dazwischen. Wer die Widersprüche nicht akzeptiere, könne hier nicht leben und arbeiten. Für Afrika hege er unendliche Sympathie, aber "ich küsse es mir nicht rosarot. Ich komme nicht ins Schwärmen, sobald das Wort Afrika fällt. Dafür ist es viel zu mühsam. Aber ich kann immer noch morgens aufwachen, diese Weite sehen und denken: Mein Gott, ist das wunderbar."
Auch Irrtümer hat es gegeben. Dreckmann spricht ohne Scheu darüber. Als in Uganda der Massenschlächter Idi Amin gestürzt wurde und Milton Obote kam, sah er in ihm eine Hoffnung. Aber auch Obote war ein Schlächter. Dreckmann erfuhr davon, als ein junger Arzt ihn eines Nachts ans Leichenschauhaus in Kampala führte. Sein damaliger Bericht im Weltspiegel zog ein eineinhalbjähriges Einreiseverbot nach sich und eine Blockade von Entwicklungshilfe - eines der seltenen Beispiele direkter Wirkung.