Georg Mascolo - Laudator 2013

Georg Mascolo
Georg Mascolo. [Bild: WDR/Herby Sachs]

Journalist, ehem. Chefredakteur des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel".

"Liebe Frau Madaus-Friedrichs, liebe Gäste,

am Karfreitag des Jahres 2013 fuhr ein Kleinbus im syrischen Aleppo auf einen Kreisverkehr zu. Auf der Strasse, hier am Rande der Altstadt, nahe des Siegestors, lagen Zeichen, sie warnten vor Scharfschützen. Als die Insassen dies bemerkten, war es bereits zu spät. Der Bordstein war zu hoch, um noch entkommen zu können.

Der vermeintlich sichere Teil dieser Stadt war Frontgebiet geworden. Zwei Schüsse trafen den Bus. Abgefeuert wurden sie, das ist wahrscheinlich, aber nicht bewiesen, aus einer Kaserne Assad-treuer Einheiten. Eine der Kugeln verletzte den Journalisten Jörg Armbruster lebensgefährlich in Arm und Bauch.

Armbruster war nach Aleppo gekommen, um gemeinsam mit seinem Team zu recherchieren. Bei ihm war auch Martin Drum, ein Kollege des Hörfunks. Jetzt waren sie schon wieder auf dem Weg nach draussen, zurück in die sichere Türkei. Nur ein letzter Besuch stand noch an, sie wollten in einem Krankenhaus mitgebrachte Medikamente und Arzneimittel übergeben. Diese waren noch im Bus, als der Beschuss begann.

Es war dieser Zufall, der dazu beigetragen hat, dass Jörg Armbruster heute hier bei uns sein kann. Es war dieser Zufall, dass Jörg Armbruster nicht zu den in Syrien getöteten Journalisten gehört. Bis heute Abend waren es - allein diesem Jahr - acht.

Martin Durm konnte mit dem Verbandsmaterial die Blutung stillen, später gelang in einem behelfsmäßigen Hospital die Notoperation.

Jörg Armbruster ist einer der beiden Journalisten, die in diesem Jahr mit dem Hans-Joachim-Friedrichs-Preis ausgezeichnet werden. Er erhält ihn ebenso wie der großartige Kollege Marcel Mettelsiefen für die herausragende Berichterstattung über das, was wir einmal hoffnungsvoll den arabischen Frühling nannten.

Was sie erlebt und gefilmt haben, hat uns die Augen geöffnet.

Die Jury sagt: Sie lobt Armbruster für seine "sorgfältigen, überlegten und zurückhaltenden Analysen", nennt sie einen "wohltuenden und hochinformativen Kontrast zu den lärmenden Schnellfeuervideos aus einem zerrissenen Land." Mettelsiefen verdient sich die Auszeichnung für die unprätentiösen und unabhängigen Augenzeugenberichte, aus Sicht der Jury ein "unverzichtbares Korrektiv zu den zahllosen You-Tube Videos aus dunklen Quellen."

Beide Journalisten berichten aus dem Krieg, aber sie sind keine Kriegsreporter. Sie wollen es auch nicht sein, ja, sie wehren sich gegen diese Bezeichnung. Kriegsreporter, darunter stellen wir uns jene Kollegen vor, die von Krieg zu Krieg ziehen und darüber berichten, egal wo und warum er stattfindet.

Mit der Arbeit dieser beiden Preisträger hat dies nicht viel zu tun. Beide sind seit langer Zeit Kenner der arabischen, der islamischen Welt, das ist ihr Berichtsgebiet. Nicht sie haben den Krieg gesucht. Der Krieg kam zu ihnen.

Ich habe grossen Respekt, ja Bewunderung für die Arbeit dieser beiden.

Jörg Armbruster kenne ich nur als Zuschauer, seine ruhige Sprache, die Lust, für den Zuschauer die so komplizierten Zusammenhänge verständlich zu machen. Es ist jene Souveränität die nur dann entsteht, wenn sich die beiden wichtigsten Voraussetzungen für guten Journalismus vereinen: Leidenschaft und Erfahrung.

Marcel Mettelsiefen habe ich kennen gelernt, als er begann, für den Spiegel zu arbeiten, wo ich auch einmal beschäftigt war. Er hat mich sofort beeindruckt, mit seiner überlegten Art, seinem Urteilsvermögen. Wohin er mit seiner Kamera ging, welches Risiko er bereit war einzugehen - und welches eben nicht - hat er stets selbst getroffen. Das hat es mir leichter gemacht, ihn immer und wieder auf den Weg zu schicken.

Leichter. Schwer wird eine solche Entscheidung für jeden, der sie zu treffen hat, immer bleiben.

Darf man überhaupt Reporter in ein solches Land schicken, darf man riskieren, dass für ein Foto im Spiegel oder für 30-Sekunden in der Tagesschau ein Reporter stirbt?

Gibt es nicht genügend Bilder, heute, wo das Smartphone die Berichterstattung über den Krieg revolutioniert hat, wie es einst die Erfindung des Telegraphen getan hat? Zu Beginn der Kriegs-Fotographie rollten schwere, von Pferden gezogene Dunkel-Kammerwagen auf das Schlachtfeld. Für jede Aufnahme musste eine Platte chemisch vorbereitet werden, die Belichtungszeit betrug 15 Sekunden. Heute kann jeder von einem rollenden Panzer aus seinen Bericht absetzen.

Reicht es nicht, die Bilder aus diesen so reichlich sprudelnden, unüberprüften „Quellen" zu zeigen - natürlich mit dem inzwischen so oft gebrauchten Zusatz, man wisse nicht, ob sie authentisch sind.

Wofür also diese Gefahren eingehen?

Es muss sein, weil Redaktionen die Pflicht haben, ihr Publikum mit Gewissheiten statt mit Gerüchten zu bedienen, recherchiert von Journalisten, denen sie vertrauen können. Sie stellen den Kontext her, schätzen ein, wägen ab. Sie berichten, was sie gesehen und erlebt haben. Sie sind professionell genug um zu wissen, dass die Wahrheit schwer zu finden ist. Und nirgendwo umgibt sie sich mit mehr Lüge und Propaganda als im Krieg.

Solche Journalisten sind Jörg Armbruster und Marcel Mettelsiefen. Wir alle hier, als Zuschauer, Kollegen oder Verantwortliche für ein Fernsehprogramm, verdanken ihnen unendlich viel. Sie stehen für jene Glaubwürdigkeit, ohne die es keinen guten Journalismus geben kann. Danke, Ihnen beiden.

Was also geschieht in Syrien? Es geschieht eine Menschheitskatastrophe. Eine große stolze Kultur, so alt wie die ältesten Alphabete, versinkt in der Barbarei. Aus den Straßenprotesten ist ein Bürgerkrieg geworden und dieses Wort meint, dass niemand unschuldig genug ist, um nicht getötet zu werden. In den Trümmerlandschaften stecken die Menschen die letzte Habe in Müllsäcke und fliehen über die Grenze nach Jordanien und in die Türkei. Wir wollen sie nicht haben, nicht einmal diejenigen, die in Köln, Hamburg oder Frankfurt eine Familie haben, zu der sie gehen könnten.

Der Schuldige für all dieses Leid sitzt in seinem Präsidentenpalast und wenn er seine Bevölkerung nach hoffentlich bald erfolgter Vernichtung nicht mehr mit Giftgas ersticken kann, dann bleiben ihm immer noch die Kugeln.

Ich hoffe auf den Tag, an dem Reporter aus dem Gerichtssaal des Internationalen Strafgerichtshofes über den Beginn des Prozesses gegen Bashar al Assad berichten werden.

Der moralische Niedergang von weiten Teilen der Opposition ist, um auch dies zu sagen, nicht weniger zu beklagen. Fanatiker regieren unter der Flagge al Qaidas ganze Landstriche, auch sie sind für entsetzliche Massaker verantwortlich. Wo der Hass regiert, gibt es kein Gut und Böse mehr.

Es ist eine der dunklen Stunden der Zivilisation.

Den Preis zahlen die Menschen, unter ihnen sind auch immer mehr Journalisten. Von den 88 im vergangenen Jahr auf der Welt getöteten Journalisten kamen, auch diese Zahl stammt von Reporter ohne Grenzen, 17 in Syrien ums Leben.
Sie werden nicht nur getötet, sondern auch bedroht und immer mehr von ihnen entführt. Unabhängig berichtende Journalisten sind heute in Syrien ungeheuren Gefahren ausgesetzt. Nur mit sorgfältigster Vorbereitung und guter Ausrüstung kann heute dort überhaupt noch gearbeitet werden. In Syrien arbeiten heute aber auch junge, unerfahrene und miserabel ausgestattete Journalisten, die sich im Krieg einen Namen machen wollen und ihre Arbeit verschiedenen Redaktionen anbieten. Alle, die ihre Bilder kaufen, drucken oder senden müssen wissen: Auch wenn es freie Mitarbeiter sind, für ihren Schutz sind sie verantwortlich!

Wovon träumen angesichts dieser Lage unsere beiden Preisträger? Von dem, wovon auch die meisten Menschen in Syrien und in all den anderen zerrissenen, um ihre Zukunft ringenden Staaten des Nahen Ostens träumen. Dass sich die großen Hoffnungen des arabischen Frühlings doch noch erfüllen. Sie träumen von Frieden und demokratischer Teilhabe, von gleichen Rechten für Frauen, davon dass auf die Diktatur der Assads und Mubaraks nicht der Irrsinn der Islamisten und ihrer Scharia folgt. Und Armbruster und Mettelsiefen träumen davon, darüber berichten zu können.

Die Aussichten dafür stehen heute Abend schlecht. Aber dieser Traum sollte auch der unsere sein.

Der Förderpreis geht in diesem Jahr an Eva Müller, eine WDR-Journalistin und Buchautorin, die trotz ihrer jungen Jahre schon eine beindruckende Liste an herausragenden Dokumentationen und Reportagen vorweisen kann. Sie haben es gerade gesehen. Eva Müller beginnt ihre Arbeit dort, wo das News-Hopping endet, bei den Abgehängten der sozialen Marktwirtschaft oder den Opfern der braunen Bande namens NSU.

Von Eva Müller und Marcel Mettelsiefen werden wir noch viel hören. Jörg Armbruster wird es jetzt ruhiger angehen lassen. Schade eigentlich. Alle drei erinnern uns daran, was die Zukunft von gutem Journalismus ist. Guter Journalismus.

Die Jury hätte in diesem Jahr keine bessere Wahl treffen können. Ich bin sicher, Hans-Joachim Friedrichs wäre stolz auf diese drei Journalisten gewesen. Und wir alle hier, heute Abend in Köln, wir sind es auch.

Ich gratuliere Ihnen zum Hanns-Joachim- Friedrichs-Preis für Fernsehjournalismus."